Vor kurzem meinte jemand überrascht zu mir, dass ich „ja auch drei Kinder hätte, wie es gerade so modern sei“ (?). Er habe sich auch ganz bewusst gegen einen Sportwagen und für drei Kinder entschieden. Diesen Satz wiederholte er im Laufe des Gesprächs so oft, dass ich mir inzwischen sehr sicher bin, er hätte eigentlich gern den Sportwagen gehabt und trauert dem immer noch hinterher. Zum Glück hatten wir uns schon vorher für Wohn- statt Hubraum und deshalb für einen VW-Bus entschieden.
Ich meinte nur, dass wir die Kinder ausschließlich wegen der Elternzeiten und die Geburten auch entsprechend gelegt haben.
Elternzeit.
Sie ist eigentlich dafür gedacht, dass auch mal der Papa etwas vom Alltag mit den Kleinen mitbekommt, weiß, was es heißt, nach minutenlangem Kampf (gerne auch mal länger) alle Kinder rechtzeitig zur KiTa / zum Kindergarten fertig zu haben und genau beim Verlassen des Hauses dann spontan ein Grollen aus der Windel der Kleinsten zu vernehmen, das sich vor den Hintergrundgeräuschen in Mordor nicht zu verstecken bräuchte und was einen dazu zwingt, auf der Schwelle kehrt zu machen, in der Folge 10 Minuten zu spät in der KiTa aufzuschlagen und sich den bösesten Blicken (die ebenfalls aus Mordor stammen könnten) der Erzieherinnen ausgesetzt zu sehen. Oder die Kinder zum Kinderarzt zur U-x zu begleiten, zu entscheiden, ob man 4 oder 5x gegen Ebola impft oder besser auf ein Kombipräparat mit Bachblüten setzt, welche Potenz ein Globuli haben sollte und sich Sätze anhören darf wie „Oh Gott, das ist das falsche Globuli! Da haben Sie VÖLLIG überdosiert!“. Einkaufen im Drogeriemarkt zwischen all den anderen Vätern, die gerade Elternzeit haben oder arbeitslos sind (der Unterschied ist an den sichtbaren, größeren Existenzängsten zu erkennen und an den von Alkohol und Medikamenten rot unterlaufenen Augen – der Väter in Elternzeit versteht sich). Alltag eben. Dazu gibt es staatlich eine gewisse Summe, die dafür reicht, über die Runden zu kommen, zu mehr aber eigentlich nicht. Trotzdem beschwert man sich natürlich nicht. Früher gab es das nicht und das hört man auch oft und gern von jenen, die das damals natürlich auch gern gemacht hätten.
Jetzt nutzen viele Väter die Elternzeit statt für den Alltag für irgendwelche Reisen rund um die Welt, wollen etwas sehen, erleben, was sonst mit dem Jahresurlaub nicht machbar wäre, weg vom Alltag! Aber dafür ist die Elternzeit nicht gedacht! Und ich finde das auch falsch! ;-)
Ein Reisebericht.
Wir starten im Juni und außer den Kindern Noa (5), Teo (3) und Ida (0,5) nehmen meine Frau und ich noch unseren Bus (7) und den Wohnwagen (26) mit. Aus der ursprünglich geplanten Reise rund um den Globus für 8 Wochen, die dann auf eine Reise Coast-to-coast reduziert wurde (hoch an die Nordsee, dann an der Küste entlang nach Spanien und über Südfrankreich wieder zurück), wurde im Endeffekt eine „Spritztour“ an den Lago Maggiore. Auch geschuldet der Tatsache, dass Ida nicht so gern Auto fährt, wie sich das in unserer Familie eigentlich gehört, wurde ein Zwischenstopp in der Schweiz bei Freunden eingeplant. Die Schweiz hatten wir in der Vergangenheit immer gemieden, weil schlicht zu teuer.
Im Vorfeld der Fahrt standen Wohnwagen und Bus etwa eine Woche bei uns in der Straße und wir gaben den Nachbarn so die Gelegenheit, uns noch mit Campingequipment zu beschenken, was auch tatsächlich wahrgenommen wurde. Zusätzlich galt es, den Wohnwagen fit zu machen. Durch meine eigene Dummheit hatte er nämlich an den zwei Ecken des Gaskastens feuchte, modrige Stellen in der Bodenplatte. Eigene Dummheit deshalb, weil ich beim Frischwasserauffüllen regelmäßig mittelgroße Mengen Wasser verschüttet hatte und mir – statt es aufzuwischen – dachte, das würde schon von alleine trocknen. Außerdem hatte ich im Südfrankreichurlaub einen Wasserkanister im offenen Gaskasten deponiert, was an heißen Tagen sämtliche Kinder der Region zum Spielen anlockte. Das verschüttete Wasser war im Nachhinein wohl weniger getrocknet, als im Pressspan versickert. Die zwei Stellen waren also zu reparieren (Bericht folgt.. vielleicht.. Bilder hab ich jedenfalls mal gemacht) und der TÜV meinte noch, dass neue Stoßdämpfer Sinn machen würden (Bericht gibt’s schon).
Der Bus war soweit fit für längere Fahrten. Lediglich eine Kontrolle des hinteren Differenzials stand noch bei VW an, weil hier der Verdacht bestand, es würde Öl verlieren. Der Verdacht bestätigte sich nicht. Noch mal Diesel in den Tank und fertig. Die nötige Vignette für die Schweiz fiel mir am Tag vor der Abreise ein – zu spät um online was zu reißen. Also sollte das vor Ort geschehen. Am Vorabend wurden Bus und Wohnwagen beladen und sowohl Dach, als auch Heckträger gut genutzt. So gut, dass ein Öffnen der Heckklappe wegen des Gewichts eigentlich nur noch zu zweit möglich war und ein eventuelles Abtrennen von Kinderköpfen durch ein Zufallen derselbigen durch diverse Stöcke und Stäbe verhindert werden musste.
Abreise
Am Vormittag der Abreise kam mir noch in den Sinn, mich um eine Warntafel für den Radträger zu kümmern, die in Italien Pflicht ist und ein Nichtanbringen wohl sehr teuer bestraft werden soll. Da mein Italienisch nicht gerade verhandlungssicher ist, musste solch eine Tafel her, was online in drei Minuten erledigt wäre, wenn man doch noch einen Tag Zeit hätte, um auf die Prime-Lieferung zu warten. Offline sucht man die lokalen Baumärkte ab und findet schließlich noch genau EINE Tafel beim Autozubehörladen drei Orte weiter. Zwei Stunden haben sich dadurch in Luft aufgelöst, Planung ist eben alles.
An dem schwülwarmen Nachmittag ging es dann endlich los. Die Fahrt verlief angenehm unspektakulär (durch die neuen Dämpfer liegt der Wagen wie ein Brett) und wir kamen am frühen Abend auf dem Campingplatz Hüttenberg in Eschenz, am Schweizer Ufer des Untersees (ohne zu wissen, ob es vom Untersee ein deutsches Ufer gibt – Update: klar gibt es das!) an. Aufbauen ging gut und abgesehen von dem Überfahren unseres Buggies und Teos Helms mit dem Bus (hey, ich musste auf drei Kinder achten, da kann ich nicht noch auf Dinge Rücksicht nehmen, die sich mutmaßlich absichtlich im toten Winkel aufhalten!) reibungslos. Das Geräusch, das es macht, wenn man einen Fahrradhelm mit einem Auto zum Bersten bringt, ist übrigens eines der schlimmsten, das ich bisher gehört habe. Aber egal, den Buggy hab ich mittlerweile repariert und auch der Helm ist geflickt und via Ebay als „Zustand wie neu“ an ein anderes Kind verscherbelt.
Scherz! Das würde ich nie tun! Einen Buggy reparieren… voll gefährlich!
Der Campingplatz stellt für die nächsten vier Tage unser Zuhause dar und unterscheidet sich nur in einem Punkt von unserem wirklichen Zuhause: Er ist viel viel sauberer! Wer uns jetzt kennt, wird sagen „Kunststück!“, ich muss aber ohne zu übertreiben darauf hinweisen, dass er wirklich super schön und super sauber ist. Sicher der sauberste, auf dem wir je waren. Dazu zwar teuer, für Schweizer Verhältnisse aber nicht zu teuer.
Erste Nacht vorbei. Aufstehen.
Heute wollen wir versuchen, uns mit den bereits erwähnten Freunden zu treffen. Wir hatten Lukas vor… 10? Jahren während unserer Round-The-World-Reise in Australien kennengelernt (Nachtrag: vor 12! Jahren) und obwohl Facebook damals noch kein Thema war, brach der Kontakt nie ganz ab. Mittlerweile ist auch er Vater von drei Kindern und die Familien verstehen sich – also nehmen wir die Einladung gerne an.
Carina meint vormittags noch, wir sollten mal eine vorsichtige Whatsapp schreiben, ob es heute passen würde (wir hatten keinen festen Termin ausgemacht) und stellt fest, dass nachmittags die Schweiz gegen Schweden im Rahmen der Fussball-WM spielt. Nachdem Deutschland bei der 2018er-WM nicht mehr mitspielen wollte, hatte ich gar nicht mehr im Blick, dass noch jemand spielt, Carina möchte das Spiel aber unbedingt sehen. Sie erwähnt trotzdem nichts in der Nachricht und bricht dann fast in Freudentränen aus, als die Antwort kommt, dass man ja zusammen Fussball schauen könnte. „Ach, das ist ja mal ne tolle Idee, da hatte ich ja gar nicht dran gedacht…“
Der Nachmittag wird sehr angenehm, die Schweiz gewinnt haushoch gehen Schweden und sollte im Laufe der Meisterschaft dann tatsächlich noch Weltmeister werden! (bis zum 5. Wort dieses Satzes ist nichts gelogen!) Abends wird der Grill angeheizt, die Kinder verstehen sich, toben im großen Garten und bereiten Glace aus Meertrübeli zu (German readers: Eis aus Johannisbeeren), indem sie die Beeren vermatschen, mit Zucker mischen und in Eisformen drücken. Erst lange nach dem Verkosten durch uns Erwachsene kommt beiläufig das Thema auf, dass so viele Ameisen auf den Sträuchern grabbelten und es gar nicht anders ging, als diese mit in der Masse zu verarbeiten. Sicher gut für die Bronchien oder so.
Am Ende des rundum gelungenen Tages (jaja, außer das mit dem Fussballspiel, ich weiß), müssen wir viel zu früh wieder zurück auf den Campingplatz, verabreden uns aber für die nächsten Tage wieder. Die Kinder schlafen mit der Frage ein, wann wir endlich da mal wieder hin können?!
Erste Frage nach dem Aufstehen ist, wann wir da wieder mal hin können?! Wir wollen aber eigentlich erst mal zum See und nicht den Eindruck bei den Gastgebern erwecken, wir hätten das kostenlose Rund-Um-Sorglos-Paket mit einheimischen Touristenführer gebucht. Wir ziehen also zum örtlichen Buebebadi los, einem abgeriegelten Strandabschnitt am Untersee, zu dem Einheimische kostenlos können und Auswärtige – wir – ein paar Franken zahlen müssen.
Parken, Dachbox auf, Strandspielzeug aufblasen (was bin ich dankbar, dass ich beizeiten eine 12V-Luftpumpe in den Bus gepackt habe), alles zum Strand schaffen, hinsetzen. Der Himmel zieht zu und es beginnt zu gewittern. Alles wieder zusammenräumen, in die Dachbox räumen, Carina klärt noch schnell, dass man, ohne noch mal ein paar Franken bezahlen zu müssen, vielleicht später noch mal kommen darf und wir fahren zurück auf den Campingplatz.
Nachmittags noch mal kurze Whatsapp an Lukas, dass wir noch mal zum See fahren – das Wetter sah mittlerweile vielversprechender aus. Der kommt prompt mit der Familie und spendiert neben einem Nachmittagsbier auch noch interessante Infos zur Umgebung. Das geschützt wirkende Gelände direkt neben der Liegewiese gehört beispielsweise Sebastian Vettel, der extra die Zufahrt auf dem Wasserweg freibaggern ließ.
Die zweite Runde Bier hole ich und ich will jetzt ungern auf schweizer Preise anspielen, aber für eine weitere Runde hätte ich noch mal schnell zum Geldautomaten gemusst. Auch deshalb verabreden wir uns für den Abend noch bei uns auf dem Campingplatz. Ich hatte damals in Australien eine Videokamera dabei (Handy-Videos waren damals etwa 320×200 Pixel groß und glichen einer Diashow… wenn man ein gutes Handy hatte) und Lukas wollte die Erlebnisse von damals gern mal seinen Kindern zeigen. Zum Beispiel, wie er einen gefühlt 100m breiten Fluss durchschwimmt. Ich hab ihm nie erzählt, dass ich das nur gefilmt hatte, weil ich überzeugt war, dass er das nicht überlebt. Krokodil, Qualle, betrunkene Locals, egal – ich war mir sicher, das packt er nicht. Er hat’s überlebt. Die Schweizer wieder…
Die digitalisierten Werke hatte ich jetzt auf dem Macbook dabei. Plan war, dass er sich das auf eine Platte oder einen Stick zieht. Nachdem ich ihm 12 Jahre zuvor – ich glaube in Alice Springs oder Darwin in irgendeinem Cafe – die Bilder seiner Spiegelreflex mittels meines damals ebenfalls mitgeführten Notebooks auf CD gebrannt hatte, und – da diese nach der Heimkehr noch auf der Platte lagen – ich einige seiner (echt guten) Bilder (eines hängt sogar noch heute in unserem Klo) anschließend, ohne zu fragen, auf meiner Webseite eingebaut hatte, er das weiß (das mit dem Klo nicht) UND er mich deswegen bis heute nicht verklagt hat, konnte ich diesen Wunsch natürlich nicht ablehnen.
Er kam pünktlich, als die Kinder im Wohnwagen-Bett waren und brachte zwei große Flaschen (ich glaube, 750ml) herausragendes Bier mit, das in seinem Heimatdorf gebraut wurde. Jetzt könnte ich echt punkten, ich erinnere mich aber leider nicht an den Namen des Dorfes. Und an den des Bieres auch nicht. Der Typ, dem ich das Video mitgegeben habe, war aber hoffentlich Lukas.
Update: Ich erinnere mich zwar weiterhin nicht an den Namen, habe aber ein Foto gefunden, das er mir geschickt hatte. Da kommt das her und ist echt lecker: https://klosterfischingen.ch/brauerei/
Gemütlicher Videoabend auf dem Campingplatz also und wir stellen beide fest, dass wir die kurzen Hosen aus Australien noch immer haben. Er hat sie genau in diesem Moment an, meine liegt im Wohnwagen. Auch nach den Bieren schaffen wir es nicht zur erörtern, ob wir beide einfach so nostalgisch sind, zu geizig für neue Hosen oder einfach zu arm dafür. Mir gefällt die Version, dass wir beide auf unsere Dinge aufpassen, am besten.
Ein Liter Wasser, eine IBU und ab ins Bett.
Heute steht endlich DER Touristenspot schlechthin an, den wir schon seit mindestens 15 Jahren vor uns her schieben und an den wir bei jeder Schweizdurchfahrt erinnert werden: der Rheinfall. Neben der gerade erwähnten Wartezeit von mehr als 15 Jahren ist der Besuch auch aus einem zweiten Grund wichtig: Teo will seine zwei verbliebenen Schnuller loswerden und da Noa seine damals in einem Wasserfall im Schwarzwald entsorgt hat, steht der Rheinfall bei Teo hoch im Kurs. Um dem Vorwurf der Umweltverschmutzung vorzusorgen… naja, eigentlich kann ich das nicht… es IST definitiv Umweltverschmutzung, wir erziehen unsere Kinder aber so, dass sie nicht übermäßig viel Müll machen, dass wir gefundenen, fremden Müll (zugegebenermaßen nur manchmal) in Mülleimer schmeißen und Dinge reparieren, anstatt wegzuwerfen. Es bleibt natürlich dumm und würde ich es bei anderen sehen, würde ich es aufs Schlimmste verurteilen.
Wir glauben bis zu dem Moment, an dem Teo seine zwei Schnuller über Bord des Touristenbootes in die Gischt pfeffert, auch nicht daran, dass er es wirklich tun würde. Er macht es und zwar ohne mit der Wimper zu zucken vor den offenen Mündern amerikanischer Touristen, die vor Schreck kaum mehr ihr 12-Zoll-iPad zum Filmen festhalten können. Bereits auf dem Boot beginnt es heftig zu regnen und wir bleiben noch auf zwei Calippo-Eis, das es hier zum Schnäppchenpreis von nur noch 2,90 CHF gibt (pro Stück versteht sich). Noa ist beleidigt, weil er nicht unterhalb des Rheinfalls Fische käschern darf, die hier – vermutlich wegen der Touris – zu hunderten direkt unter der Wasseroberfläche auf Futter warten. Und deutlich größer sind, als unsere Käscher. Und teilweise als unsere Kinder.
Da uns bewusst ist, dass uns ein Mittagsessen zu fünft hier ein komplettes Tagesbudget kosten würde (und das auch nur deshalb, weil eine von uns noch Muttermilch bekommt), machen wir uns auf den Rückweg zum Campingplatz und wollen auf der Strecke an einem Supermarkt mit Restaurant halten, den ich auf der Hinfahrt gesehen hatte. So machen wir es dann auch und speisen im Foodcourt eines coop-Marktes. Und auf dem Niveau eines coop-Marktes.
Abends wird es ein wenig traurig für Teo, der nun das ein oder andere Mal nach Reserve-Schnullern fragt, die vielleicht irgendwo versteckt wären. Diese haben wir aber tatsächlich nicht. Da er lange nicht schlafen kann, machen wir diverse Dinge, die wir mit dem Beiwort „ausnahmsweise“ verzieren: Mascha und der Bär auf dem iPad schauen, noch mit uns draußen sitzen, einen Spaziergang über den Campingplatz und zum Nespresso-Kapsel-Müllbehälter machen – so Dinge.
Zähe, kurze Nacht.
Heute soll es weiter gehen. Zuvor noch schnell eine Vignette kaufen. An der Tanke gibt’s die doch. Ein volltätowierter Typ erklärt mir supernett, dass er keine mehr hat, es beim örtlichen Supermarkt aber noch ganz wenige für Auserwählte geben könnte. Die aber nicht sichtbar, man müsse danach fragen.
Also weiter ein paar Häuser weiter und durch die Tür. Auf Rückfrage erklärt mir die Dame an der Kasse, dass sie nur noch ganz wenige hätte – wenn überhaupt – und sie erst mal schauen müsse. Ich bitte darum, sie dreht sich 20cm nach rechts und greift unter den Kassentisch, um einen Stapel von geschätzt 400 Vignetten herauszuziehen. Ich sage, ich nehme zwei. Sie ist so verdutzt, dass ich nachfrage. Das sei doch so, dass man eine zusätzliche Vignette für den Wohnwagen bräuchte? Ihr „äh, ja gewiss“ kommt so zögerlich und da ich mir zusätzlich einbilde, sie würde auch kurz in die Überwachungskamera an der Decke blicken, vermute ich, diese ganze Vignettengeschichte ist eine Verschwörung und in Wirklichkeit wird das nie kontrolliert. 80 Franken ärmer verlasse ich den Laden erst, nachdem ich noch kurz via Gebärdensprache ein „I know!“ in die Überwachungskamera hinterlassen habe.
Wir starten also am späten Vormittag Richtung Italien und sind anfangs auch noch frohen Mutes, dort bald anzukommen. Das Navi sagt 4 Stunden. Wir sollten über 7 Stunden brauchen, weil wir in den Berufsverkehr kommen. In irgendeinem Kaff am Lago Maggiore stelle ich mit Bus und Wohnwagen einen kompletten Kreisverkehr zu und blockiere den Verkehr für mehrere Minuten. Das Hupen lässt aber bereits nach wenigen Sekunden nach, weil die anderen Teilnehmer sehen, dass ich da auch nichts machen kann – es geht keinen Zentimeter voran. Aber auch das löst sich irgendwann und im immer noch hektischen Berufverkehr entdecken wir die Einfahrt zum Campingplatz Conca d’Oro. Ich erwische prompt die falsche Einfahrt – weil ich wegen Gegenverkehr zu schnell reagieren und mich entscheiden muss, ob ich links oder rechts vom Hindernis einscheren sollte. Meine Entscheidung „rechts“ ist falsch und wir finden uns wieder an einem steilen Hang in einer schmalen Straße vor einem verschlossenen Tor mit dem Hinweis auf Videoüberwachung und einem PIN-Eingabefeld, aus dem zwei Kabel baumeln. Zwei Versuche, den Wohnwagen wieder rückwärts aus der Bredouille zu schieben, scheitern nicht nur, weil hinter/über uns eine Hauptstrasse ist, sondern auch, weil es stark nach verbrannter Kupplung riecht. Die Auflaufbremse hatte zu gemacht und der Bus kämpfte vergebens. Ein letzter Test, Bremse am Wohnwagen zu, Bus 10cm rollen lassen, die Auflaufbremse öffnet. Vooorsichtig zurück, Auflaufbremse schließt. Nichts geht mehr, der Abstand zum Tor ist noch ein guter Meter. Durch diesen Zwischenraum drücken sich gerade zwei deutsche Touristen, die wir ansprechen (man erkennt andere Deutsche daran, dass sie den Blick ganz kurz auf die Situation schweifen lassen und dann stur nach unten auf den Boden oder weit entfernt auf den Horizont starren – so wie man halt selbst reagieren würde, wenn jemand hilfebedürftig aussieht. Ja nicht angesprochen werden!). Es stellt sich heraus, dass sie auch auf dem Campingplatz wohnen und die PIN zum Tor kennen. Insgeheim sah ich mich ja eigentlich schon die zwei Kabel abisolieren und zusammenzudrücken, aber so geht es natürlich auch. Die Dame gibt die PIN ein (verdeckt versteht sich, wir könnten uns den Code ja merken und dann wären die 500 anderen Gäste zwei oder drei Tage lang in akuter Gefahr – ich gehe jetzt mal davon aus, dass sich so ein PIN alle 2 oder 3 Tage aus Sicherheitsgründen ändern muss!), das Tor setzt sich unter Ächzen in Gang. Die Freude ist riesig. Bis das Ächzen aufhört und uns klar wird, dass der Durchgang nur für einen, zugegebenen relativ dicken Menschen reicht, aber für die Breite des Busses etwa 1,5m fehlen. Scheint das Ding wohl so clever zu sein, nur Fußgänger hineinzulassen. Der Mann ist sichtlich erpicht, mit uns gemeinsam eine Lösung zu finden, seine Frau hat aber wohl keine Zeit mehr und zerrt ihn mit den Worten „das ist nicht unser Problem, komm!“ mit sich durch das sich gerade wieder schließende Tor.
Da fällt uns die Sprechtaste auf dem PIN-Feld auf, tatsächlich meldet sich jemand, der etwas italienisches sagt. Es folgt ein Monolog unsererseits, in dem wir auf englisch erklären, was Sache ist, dass ich nicht rückwärts fahren kann, es nicht weiter geht und wir eine Lösung brauchen. Kein Kommentar, man hört, wie das Gegenüber auflegt. Stille. Ein Frosch quakt im Hintergrund und übertönt kurz das Pochen unserer Herzen. Dann: Das Tor beginnt zu ächzen und öffnet sich über die volle Breite.
Ich springe hektisch in den Bus und starte, Carina und die Kinder schlagen zeitgleich mit Steinen auf die Mechanik des Tores ein, um ein Wiederschließen zu verhindern (zumindest wäre das mein Wunsch gewesen).
Direkt hinter dem Tor biegt der Weg links ab, ich will kein weiteres Risiko eingehen und stelle Bus und Wohnwagen an der Seite ab, an einer Stelle, an der ich zur Not wenden könnte. Wir gehen zu Fuss los. Es stellt sich heraus, dass wir am hintersten Ende des Campingplatzes gelandet waren, wir finden die Rezeption aber trotzdem und checken mit einem vorsichtigen „Buongiorno! Ähh.. deutsch.. hihi?“ ein. Die Dame hinter dem Tresen schaut uns traurig an, atmet tief ein, seufz und meint akzentfrei „Ja. Deutsch. Bitteschön?“
Wir finden unseren Platz, stellen den Wohnwagen lieblos ins Eck, ich nehm mir ein Bier und zwei Kinder und wir gehen direkt an den Strand. Es ist mittlerweile Abend, wir waren den ganzen Tag im Auto, der Bus stinkt immer noch nach Kupplung und wir sind einfach fertig. Ich will nur ins Bett fallen.
Es sollte aber noch ein langer Abend werden, da Teo die Sache mit dem Schnuller noch immer nicht akzeptieren will und lieber seine bereits schlafenden Geschwister regelmäßig wieder aufweckt. Tief in der Nacht schlafen aber endlich alle. Vielleicht auch nur ich.
Nächster Morgen. Noa wacht auf, wackelt an seinem Wackelzahn und raus ist er! Riesen Freude, der erste Zahn und wir hatten noch gar nicht überlegt, ob es bei uns eigentlich eine Zahnfee oder so etwas gibt. Beide großen Kinder sind dann aber eh direkt schlecht gelaunt, weil sie SOFORT an den Strand wollen.
Der Campingplatz ist ein krasser Schnitt zur Schweiz, auf den Toiletten gibt es weder Klobrillen, noch Seife. An sich nichts ungewöhnliches in Spanien oder Italien, mit der Schweiz als vorherige Destination aber erst mal seltsam. Eis kostet zwar deutlich weniger als in der Schweiz, Teo erwischt aber prompt eine Mogelpackung für 2,20€, die keine 50ml Eis enthält. Der Tag ist angenehm und nach der Fahrerei gestern und der schlimmen Nacht auch angenehm gemütlich.
Abends wird es aber wieder nervig mit den Kindern und wir entschließen uns, dass wir drei Männer eine Abend-Runde über den Campingplatz drehen, damit Carina Ida in den Schlaf stillen kann. Wir kommen nur 50m weit bis an den Strand, an dem eine üppig gebaute Softballspielerin in Bikini, naja, Softball spielt und Teo meint, er würde da gern lieber noch ein bisschen zusehen, als weiterzugehen. Wir stehen zu dritt in nicht mal 5m Entfernung und zwei von uns schauen mit offenem Mund zu (dieses Mal bin nicht ich dabei!). Ich hätte zu gerne die Jungs und die Spielerin mit dem Handy gefilmt, aber dann hätte der vermeintliche Freund, der den zweiten Softballschläger in der Hand hielt, uns mit selbigem wahrscheinlich verprügelt. Auch nach der Runde wird das Einschlafen sehr zäh, Teo betont lautstark, dass er jetzt wirklich einen Schnuller braucht. So lautstark, dass er die schon schlafende Ida wieder weckt, um sich anschließend damit abzulenken, auch Noa zu wecken und ihm zu zeigen, dass er seinen großen Zehen in den Mund stecken kann. Noa kann das auch und so stecken sie munter ihre dreckigen Zehen in den Mund. Erst die eigenen, dann über Kreuz. Hört sich lustig an und das ist es anfangs auch – aber nicht mehr, wenn es das 50. Mal vorgeführt wird und es mittlerweile in Richtung 22:00 Uhr geht. Ich habe die ernste Befürchtung, dass man als Eltern mit spätestens dem dritten Kind GAR KEINEN Feierabend mehr hat. Teo und Noa beteuern jetzt, dass sie noch furchtbar Hunger haben. Die Diskussion kenne ich und ich weiß auch, dass ich diese regelmäßig gewinne – ich fühle mich heute aber so schwach, dass ich ihnen das Versprechen abgewinne, dass sie EIN Stück trockenes Brot bekommen und danach hinliegen und schlafen. Sie essen das trockene Brot mit übertriebenem Genuss, legen sich hin und schlafen 5 Minuten später! Geht doch!
Späteres Aufwachen als gestern, was nichts Gutes für den kommenden Abend und die Einschlafzeit der Kinder verheißt. Ich habe die halbe Nacht wegen Kreuzschmerzen nicht geschlafen, wobei ich nicht weiß, ob es an der schlechten Matratze liegt (die umgebaute Sitzgruppe), der guten Matratze, die aber auf ca. 1,50m gekürzt ist, weil ich da ein abgestecktes Areal für Ida gebaut habe, was sie vor Tritten ihrer Brüder schützen soll (und durchaus auch umgekehrt) oder ob ich mich beim Beladen des Fahrradträgers verhoben habe. Egal, woher es kommt, nach Schmerztablette gegen 3 Uhr ging es dann. Nach Pfannkuchenfrühstück, welches 2x die Campingplatzsicherung fordert, weil die Herdplatten zusammen mit Kaffeemaschine zuviel des Guten waren, ging es für den fast kompletten Tag an den Strand. Gegen Spätnachmittag sollte es noch zum nahegelegenen Lidl gehen (genau wie Aldi gibt es den hier).
Als ich in Google Maps „Lidl“ eingebe und nicht nur die 15-Minütige Route dorthin angezeigt bekomme, sondern auch noch, dass er heute – am Sonntag – geöffnet hat und zur aktuellen Uhrzeit recht wenig los ist, frage ich mich kurz, wie wir es bei unseren Reisen vor über 10 Jahren ohne all das (= das Internet) geschafft haben, zu überleben. Im Lidl unterhalten sich insgesamt vier Italiener ausgiebig mit uns und unseren Kindern und ignorieren allesamt unser dahingestottertes „non parlo italiano“ – wirklich sehr freundlich, obwohl ich außer das „il capitano“ zu Teo, als er hoch auf dem Einkaufswegen durch die Gänge geschoben wird und „bella“ zu Ida, als sie wie immer hübsch aussieht, nichts verstehe. Der Abend wird wie erwartet furchtbar und ich überlebe innerlich nur deshalb, weil ich gegen 23 Uhr dann endlich vor dem Wohnwagen sitze, die Wasserlinie aufgrund der Dunkelheit nur noch durch die leichten Reflexionen vom Himmel unterscheiden kann und ich mir bescheiden denke, dass es einige Milliarden Menschen gibt, denen es deutlich schlechter geht, als mir.
Bei jedem Mückenstich sehe ich vor dem inneren Auge, wie die Zahl rückwärts rasselt. Der Nachbar da vorn, das ist ein geiler Typ. Der hat – neben dem vollausgestatteten California – auch einen elektrischen Mückenermorder, der sich im Sekundentakt durch laute Stromschläge bemerkbar macht.
Meine Mückenspirale ignorieren die Dinger gänzlich.
Ein „Papa, ich muss auf‘s Klo“ reißt mich viel zu früh aus dem Schlaf. Irgendetwas ist vor ein paar Tagen an unserer Wohnwagentoilette verreckt und dieser Umstand macht es jetzt nötig, dass wir die Sanitärräume des Campingplatzes aufsuchen müssen. Die wirklich nicht schön sind.
Zu einem gelungene (Camping-)Urlaub gehören immer auch Reparaturen, die das Ego hoch- und das Equipment fithalten. Leider schaffe ich es nicht, die Toilette – genauer die Spülung zu reparieren. Die Pumpe läuft theoretisch und die Sicherung ist drin. Ich war mir sicher, dass ich ein längeres Stück Kabel eingesteckt hatte, womit ich jetzt vorzüglich den vermeintlich defekten Schalter der Spülung hätte brücken können, ich finde aber nichts. Wohl doch zu Hause gelassen.
Ein Ausflug nach Feriolo zeichnet sich durch das Highlight aus, dass gerade durch Bauarbeiter eine Laterne in ein Loch eingesetzt wird. Da es direkt daneben Pizza zum Mitnehmen gibt, verlegen wir das Mittagessen auf die Wiese neben den Bauarbeiten mit Blick auf die Maschinen und haben für einen (kurzen) Moment die anständigsten, ruhigsten Kinder der Welt.
Die Ausflüge halten sich auf dieser Reise sonst in Grenzen, weil die Kinder eigentlich gern nonstop am See bleiben würden und Städtebesichtigungen mit Nichtmehrlaufenwollen quittiert werden. Bei über dreißig Grad und drei zu tragenden Kindern auf zwei Eltern, beschränkt sich das Erkunden der Umgebung deshalb noch auf Verbania, verschiedene Supermärkte, dem Smoothie-Stand und Souvenirgeschäft um die Ecke. Ich bin spätestens ab der dritten Woche hin- und hergerissen zwischen Langeweile und dem Wunsch nach Ruhe. Wenigstens klappen die Abende jetzt etwas besser – nicht, weil die Kinder früher Ruhe geben würden, sondern eher, weil wir Erwachsene das nicht mehr erwarten.
Zwischendurch traue ich mich mal, alleine (na gut, mit der schlafenden Ida im Wagen) an den Rand des Campingplatzes, um dort die Drohne steigen zu lassen. Seit gestern fliegen hier Löschfluge im 10-Minutentakt den See an, um danach über dem Wald zu verschwinden und der Job der Drohne sollte sein, herauszufinden, wo es denn da brennt. Ich steige also mit der Drohne auf, versuche mit der einen Hand die Baumkronen zu umsteuern und mit der anderen, die Stechmücken auf Idas Stirn so vorsichtig zu töten, dass diese zwar sterben, Ida aber weiterschläft. Das gelingt gerade so, als ich dann aber einen Beinahezusammenstoß mit einem Löschflugzeug habe (spektakuläre Aufnahmen, deren Vermarktung ich noch überlege), entscheide ich mich doch fürs Landen.
Bei der Anreise haben wir noch einen Mann am Nachbarplatz belächelt, der auf dem Campingplatz begann, sein Auto zu waschen. In der dritten Woche kann ich ihn verstehen – und beginne (heimlich, immer partiell) den Bus zu waschen… Als ich bemerke, wie ich nun widerum beobachtet werde, denke ich mir nur „warte erst mal zwei Wochen ab und urteile dann, Freundchen!“.
Seit ungefähr 20 Tagen beneide ich die Leute hier mit ihren Grills, habe mir viele angeschaut und bin unter dem Einfluss der Langweile dann zu dem Entschluss gekommen, dass ich mir jetzt einen Grill bestelle, der dann daheim auf mich wartet! Es ist der Enders Urban geworden, da er mit der Gasflasche im Wohnwagen läuft und mittels Adapter auch via Kartusche. Außerdem passt er genau in eine Eurobox (was ich aber zu dem Zeitpunkt noch nicht wusste), die wiederum bestens in den Bus-Kofferraum passt. Zu gegebener Zeit muss ich das mal in einem extra Erfahrungsbericht zusammenschreiben (Update: Fertig damit). Außerdem habe ich mir im Affekt einen elektrischen Insektenvernichter gekauft. Und seit dem nicht ein einziges Mal benutzt.
Gegen Ende der letzten Woche hat Teo dann noch einen Beinaheunfall auf dem Spielplatz und er kommt völlig aufgelöst mit dem Satz „ich hätte so gern mal wieder Urlaub“ in unsere Arme. Das hätten wir alle mal wieder gern. Es wird Zeit, abzureisen.
Als ich daheim den Wohnwagen ausräume, finde ich das Stück Kabel, das ich zur Reparatur der Spülung gebraucht hätte. Außerdem ist der bestellte Grill kaputt und muss erst getauscht werden. Läuft.
Fazit
Nie wieder Elternzeit! Es sei denn… Nein. Nie wieder Elternzeit!
Nachtrag
Hier der Bericht zum Grill:
Der ideale Grill für den mobilen Einsatz in VW-Bus und Wohnwagen
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