Oder: Erster Campingurlaub mit Bus und Baby.
Zur Vorgeschichte: Nachdem wir recht schnell feststellen durften, dass zwei Erwachsene und ein Baby in einem T3 nur unzureichend mit Platz versorgt sind (und auch zu zweit war es mit Gepäck ab und zu schon grenzwertig), musste schnell eine Alternative her. Die einfachste Variante wäre sicherlich, das Umherziehen komplett zu beenden und zu All-Inclusive-Touris zu konvertieren, deren Tagesinhalt darin besteht, die besten Liegeplätze am Pool zu reservieren und rechtzeitig am Buffet zu erscheinen, um sich in orientalischer Umgebung deutsche Kost einzuverleiben. Bis zum Erbrechen versteht sich, ist ja inklusive. Das kann man jetzt falsch verstehen, aber ich verurteile diese Menschen nicht, es ist nämlich nicht wichtig, irgendetwas über sein Reiseland zu wissen oder in Landessprache bitte und danke sagen zu können. (ups, da hat sich der Fehlerteufel eingeschlichen – die zwei Mal „nicht“ im letzten Satz müssen natürlich raus)
Zweite Alternative, Bus und Zelt. Am besten Dachzelt. Hat den Nachteil, dass ein Dachzelt auch nicht wirklich geräumig ist und man mit Baby sicher kein Unwetter darin verbringen möchte. Wenn ich ehrlich bin, will ich das nach einer Horrornacht vor knapp 8 Jahren irgendwo bei Sydney in einem Zweimannzelt aus chinesischer Produktion nicht mal ohne Baby erleben. Coole Sache an sich, für mich aber nichts.
Alternative 3, einfach einen Bus mit Klappdach kaufen. Hat nur den Haken, dass man entweder einen hohen 4stelligen Betrag für einen Bus in schlechtem Zustand ausgibt oder einen 5stelligen für einen Bus, der noch ein paar Jahre hält und einen hohen 5stelligen für einen guten Bus. Ob T3 oder T4 ist in dem Fall mittlerweile tatsächlich egal, die Preise für Campingbusse sind hier quasi identisch.
Alternative 4, ein gebrauchtes Klappdach kaufen, ein großes Loch in den Bus sägen, das Dach drauf kleben, dem TÜV einen Kasten Bier zahlen und fertig. Preislich je nach Zustand des Daches komplett machbar für 500-4000€. Kann man machen, aber mal ehrlich? Meinen Bus zersägen? Neuen Himmel machen oder machen lassen, an irgendwelche Verstrebungen denken, alles rostfrei und dicht bekommen? Nach ewiger Suche fehlende Originalteile finden und für teures Geld kaufen? Und dann rauscht einem der neue Fiat 500 der Nachbarin in die Seite und man bekommt von der Versicherung den Zeitwert für einen selbstzersägten Bus in Höhe von was? 1000€? Nä!
Alternative 5, Wohnmobil. Bekommt man je nach Alter ziemlich billig, bieten viel Platz, sind günstig im Unterhalt und nachweislich die einzigen Fahrzeuge, bei denen es erlaubt ist, während der Fahrt den Tempomat einzuschalten und nach hinten auf’s Klo zu gehen. Glaub ich. Nachteil? Zwei Worte: Daseinsberechtigung Bus. Es kommt nicht in Frage, den Bus zu verkaufen! Ein altes Sprichwort sagt, dass viele Menschen in deinem Leben kommen und gehen werden, ein guter Bus aber bleibt für immer. TÜV hin oder her.
Alternative 6, Wohnwagen! Und nicht nur Wohnwagen, nein.. Wohnwagen am Bus! Das ist quasi das eigene Haus UND die Einliegerwohnung mit dabei! Vorteil: Es gibt eine passende Variante für alle Geldbeutel dieser, naja, alle Geldbeutel der ersten Welt, in der ich und ziemlich sicher alle, die das lesen, das Glück haben zu leben. Grundsätzlich scheint zu gelten, je größer und schwerer das Ding ist, desto billiger ist er zu haben. Der Ami-Pickup-Fahrer lacht da laut auf, kippt seinen Whisky runter, schnippt die Kippe weg und zieht seinen 2 Tonnen schweren und 8 Meter langen, doppelklimatisierten Tandemachser 140km/h-schnell gen Süden. Und hört dabei Countrymusik. Der Busfahrer, der mit 92PS gerade ausreichend befeuert ist, um Bus und Ladung zu transportieren, muss da schon tiefer in die Tasche greifen oder einen deutlich älteren Trailer in Kauf nehmen. Nachteil am Wohnwagen: Mal eben in einer Stadt wildcampen kann man ab sofort vergessen. Und außerhalb fällt man wahrscheinlich auch deutlich schneller auf, als ein einzelner Bus.
Der Grat zwischen nicht zu hohem Alter, nicht zu schlechter Ausstattung, keinem zu hohen Gewicht und einem erträglichen Preis ist schmal. Und kein Grat. Weil es ja vier Punkte sind und da wird’s schwer mit dem Grat. Ich weiß aber grat (uuuh, witzig) nicht, wie das richtige Wort heißt. Egal, der Kompromiss war schnell gefunden (DAS war das Wort!) und so kommt es, dass im Moment links von mir der Bus, direkt vor mir ein Bier, darunter ein Tisch, dahinter Carina und rechts der Wohnwagen, ein Knaus Südwind 450, stehen. Wobei Carina eher sitzt. Im Hintergrund singt in der Ferne eine Coverband „Jeden Tag sitz‘ ich am Brombachsee“ auf die Melodie von „Westerland“ und ich bin ernsthaft am Überlegen, ob ich es den Ärzten nicht schuldig bin, den Typen von der Bühne zu zerren. Auch, weil es schon 22:00 Uhr ist und damit Nachtruhe gilt! Wo kommen wir denn da hin!? Es handelt sich hier nämlich um einen dieser Campingplätze, die man von VOX- und RTL2-Reportagen kennt. Überwiegend Dauercamper, ganz klare Regeln, wann man wo was darf und was wann wo auf gar keinen Fall. Aufgeteilt in einzelne Seitenwege, die vom „Hauptring“ abgehen. Jeder dieser Seitenwege hat einen Dauercamper, der schon immer da ist und deshalb der Chef seines Weges ist und sagt, wie der Hase läuft.
Als wir in Schritttempo (oder langsamer) auf den uns zugewiesenen Weg einbiegen, wackeln, wie zu erwarten war, auch schon die meisten Gardinen in den Vorzelten. Dem autowaschenden Esslinger steht der Mund offen, die Ravensburger Familie kann kaum noch ihr gaserhitztes Abendessen zu sich nehmen, als in der vor Hitze flirrenden Luft ein besonders stattliches Männchen vor seinen Kunstrasen tritt, um die Staubentwicklung der Busräder in Augenschein zu nehmen. Auf Sri Lanka sind uns besonders häufig artverwandte, englische Rotrückenmännchen begegnet, dieses seltene Exemplar hier zeichnet sich aber durch seine imposante, weil knallrote Brust aus, die er bedächtig in der Sonne leuchten lässt (die richtig, und ich meine RICHTIG stattlichen Männchen sind aufgrund des ausgeprägten Bauchs nicht mehr in der Lage, den Rücken zu sonnen). Da ich weiß, dass man den Häuptling niemals in Frage stellt, reagiere ich intuitiv richtig, als er neben den Bus tritt, nicht mich, sondern den Wohnwagen begutachtet, mit prüfend zusammengekniffenen Augen feststellt, dass das 11 Meter lange Gespann nicht an einem Stück in den 7m tiefen Platz passt und meint „Braucht ihr Hilfe beim Einparken.“ – richtig, kein Tippfehler, da war kein Fragezeichen am Ende. An ein Rangieren ist bei den Satellitenschüssel auf dem Weg nicht zu denken und es läuft so oder so auf ein Abkoppeln und Schieben heraus. Klar, danke, sage ich, der Boss zuckt kurz mit den Brustmuskeln und das rote Blinksignal scheint drei seiner Gehilfen aus den Vorzelten zu locken. Geschätzte 8 Sekunden später steht der Wohnwagen am Platz, ist perfekt ausgerichtet und ein Helfer mittleren Alters fragt mich mit gierigem Unterton, wo das Vorzelt sei und dass man das doch am besten auch gleich aufbauen sollte. Leider haben wir keines und er verschwindet enttäuscht, ja fast fassungslos in seine Parzelle.
Die Nacht verläuft wie erwartet ruhig und warm. Beim Frühstückzubereiten ziehen Horden von Dauercampern an uns vorbei in Richtung Kiosk, an dem es frische Brötchen gibt. Kein einziger geht zu Fuß, die meisten sind mit kleinen Klapprädern unterwegs, ein paar mit SUVs und eine Oma mit einem Elektrorollstuhl. Der Fußweg zum Kiosk dauert 3 Minuten, ist also auszuhalten und ich mache mich im Stillen ein wenig lustig über die Radler und im Lauten über die Autofahrer.
Gegen Mittag müssen wir auf einen anderen Platz umziehen, da wir keine rechtzeitige Platzreservierung vorweisen können und am Samstag der Kumpel vom Wege-Chef kommt und auf seinen angestammten Platz muss. Der Umzug läuft so, dass man die Stützen am Wohnwagen hochdreht und 10 Sekunden wartet. Wie aus dem Nichts steht der Wege-Chef vor einem, der entweder schon am Vorzeltfenster beobachtet hat oder vom Quietschen der Stützen aufgeschreckt wurde. Ein kurzer Ruf, „Toni!“ und ein zweites, deutlich kleineres und älteres Männchen kommt hinter seiner schattigen Biertischgarnitur vor, um zu helfen. Während wir den Wohnwagen zum neuen Platz schieben, wird mir klar: Toni war früher der Wege-Häuptling, lange bevor das neue Männchen ins Revier kam. Irgendwann war es aber so weit und er musste aufgrund des Alters den Rang kampflos abgeben.
Fast beleidigt reagieren die Zwei, als ich ihnen später ein Bier für die Hilfe anbiete. „Das ist eben Camping!“ sagt der Chef, winkt ab und verschwindet so lautlos, wie er gekommen war, hinter seinem plüschigen Kordelvorhang.
Mittlerweile haben wir Tag 3 des Mini-Testurlaubs mit Baby, Bus und Wohnwagen. Wir sind so zufrieden, dass wir uns schon jetzt ärgern, morgen abbauen zu müssen. Wir wurden absolut freundlich aufgenommen, wobei ich da unserem Sohn den Großteil der Arbeit zurechne. Ein Baby hat den großen Vorteil, dass man ständig Gesprächspartner, immer Hilfe hat und jeder nett ist. Beim Camping nur mit Bus und ohne Baby war es die absolute Ausnahme, dass mal eine ältere Dame gelächelt hat, wenn ich nur mit Unterhosen bekleidet draußen auf einer Spieledecke lag und einen Plastiktraktor vor mir her geschoben hab. Von jüngeren ganz zu schweigen. Kaum ist ein Baby dabei, sind alle ganz begeistert..
Den Campern haben wir uns angepasst und ich glaube, wir sind akzeptiert. Wir wissen, wann wir was zu sagen haben (wenn beispielsweise einer mit 4 statt der erlaubten 3 km/h über „unseren“ Weg fährt und ein Dauercamper sagt „Mann, das staubt doch alles voll!“, muss man „Genau!“ antworten, dem Raser nachstarren und den Kopf schütteln), wo man Frischwasser tankt, welche Kinder zu welchen Nachbarn gehören und wie die heißen und dass man besser nachts seinen Müll entsorgt, damit keiner merkt, dass man Pfandflaschen, Restmüll, Windeln, wässrige Nudeln, Altöl und Papier bunt mischt und nicht wie angewiesen trennt. Und ich weiß mittlerweile, wie sich diese drei Minuten zum Kiosk ziehen, nachdem ich gerade Bier holen, danach Pizza bestellen und 15 Minuten später die bestellte Pizza abholen war. Gott, wie ich mir ein Fahrrad wünsche. Oder einen SUV oder Rollstuhl.
Da heute gegenüber eine .. äußerst .. christliche Familie angekommen ist, die sich den Abend mit dem Singen mir meist unbekannter, aber ebenfalls äußerst christlichen Liedern um die Ohren haut und verzweifelt versucht, die ziemliche coole Blues-und-Funk-Combo im Hintergrund (ich vermute, den Ärztecoverer von gestern haben sie im See versenkt und das ist jetzt der Ersatz) mit ihren Rhythmen zu übertönen, komme ich mit einem – wie die Jugend wohl sagt – MashUp zwischen einem 4stimmigen „Ins Wasser fällt ein Stein“ und „Mustang Sally“ auf den Ohren langsam zum Schluss und suche mir noch ein fränkisches „Spalter Bier“.
Natürlich muss ich abschließend sagen, dass ich schon ein bisschen überspitzt geschildert habe und alle hier ziemlich nett sind, allen voran „der Chef“. Außerdem wüsste ich ganz ehrlich nicht, wie wir den Wohnwagen ohne die Hilfe der Dauercamper einparken hätten sollen. Ich will hier meine Klappe nicht zu weit aufreissen. Irgendwann hatte ich auch mal über Wohnwagenfahrer gelästert.. und über Leute, die lieber bei ihrem Kind bleiben, als abends um die Häuser zu ziehen.. Dinge ändern sich schnell und wer weiß, vielleicht sind wir irgendwann Dauercamper. Oder All-Inclusive-Touristen. … Naja, eher Dauercamper!
Im Zelt hinter uns erzählt jemand traurig, wie eine Freundin an Hautkrebs gestorben ist, rechts stürzt ein Betrunkener herein und singt laut „Heut‘ ist ein guter Tag zum Sterben!“. Das ist eben Camping. Mehr geht nicht.
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