Anfang 2006 wurde bei einem Kunden von mir in die Büroräume eingebrochen und er bat mich tränenaufgelöst und mit zitternder Stimme, den Einbrecher zu finden, zu stellen, mir mithilfe uralter Foltermethoden den gestohlenen Plutoniumstab aushändigen zu lassen und ihn anschließend zu töten, was ich gewohnt sauber, schnell und diskret erledigte.
Ab ‚eingebrochen‘ ist alles erfunden. Aber die Wahrheit ist nicht wesentlich unspektakulärer, er bat mich nämlich für eine etwaige künftige Beweissicherung bei einem erneutem Einbruch ein Angebot für ein Securitysystem zu unterbreiten. Nichts leichter als das, dachte ich damals und ging beherzt ans Werk, sah vor meinem inneren Auge schon den Server im Keller stehen, der die Bilder der 8 Kameras aufnimmt, angetriggert vielleicht von Bewegungsmeldern, da damals der Speicherplatz noch ein bisschen teurer war, als das heute der Fall ist (und auch hier stimmt wieder die Aussage „Früher war alles besser!“ definitiv nicht und mittlerweile bin ich eh der Meinung, früher war alles ziemlich übel, heute ist alles toll und ab morgen wird’s – frei nach Dieter Bohlen – richtig, richtig megageil!).
Ausgebremst wurde ich dann, als der Kunde den veranschlagten Preis sah, sich leise räusperte und vorsichtig meinte: „Hmm, eigentlich wär‘ mir der Spaß so um die 200 Euro wert. Inklusive Installation und MwSt., versteht sich! Damit müssten Sie hinkommen. Kommen Sie hin?“. Als Installation veranschlagte ich eine Stunde, d.h. die Hardware durfte noch ganze 15 Euro kosten, damit wir im Budget bleiben würden :). Früher nicht weniger gadgetverliebt als heute konnte ich mir den Auftrag natürlich trotzdem nicht entgehen lassen, erwiderte „Ja! Wird genau 200 Euro kosten, das hab ich so im Gefühl!“ und besorgte statt 8 genau eine Kamera und statt einem Server genau nichts. Die LinkSys WVC54GC war damals State Of The Art, was Wifi-Kameras anging (im angepeilten Kostenbereich) und bot mit ihrem integrierten Bewegungsmelder die Möglichkeit, ohne zusätzliche Hardware Videoclips in grottenschlechter Qualität per Mail zu verschicken. Genau das richtige, wie der Kunde auch bestätigte.
Installiert war sie schnell. Inklusive der Zeitschaltuhr, die sicherstellte, dass tagsüber Strom gespart wurde und keine Fehlalarme ausgelöst wurden. Etwa zwei Wochen später kam ich wegen einem anderen Thema erneut zum Kunden und wunderte mich ein wenig, dass die Kamera nicht, wie üblich, mit der kleinen Öffnung, welche das Objektiv beherbergt, in Richtung Büroraum, sondern im Abstand von 2cm die weiße Wand überwachte. Hintergrund war, wie sich im persönlichen Gespräch ergab, dass wohl täglich Mitarbeiter früher kamen, länger blieben, abends die Putzfrau kam, jemand die Rollläden heruntermachte, die ebenfalls im überwachten Bereich lagen. Die kleine Kamera produzierte also tagtäglich hunderte kurze Clips und verschickte diese fleissig ans Postfach des Chefs, der sich davon leicht gestört fühlte. Mein Hinweis, dass man einstellen könne, wann die Kamera aktiv sei und dass man sie nicht unbedingt umdrehen muss, sondern im Zweifel auch den Stecker ziehen könnte, wurde prinzipiell verstanden. Man könne ja aber nie genau wissen, wann doch noch ein Mitarbeiter reinkäme oder die Putzfrau.. das könne schon mal sehr spät oder sehr früh werden.
Nachdem ich mir die Anmerkung erlaubte, dass man auch nicht ganz genau wisse, wann denn der Einbrecher wiederkäme (und in Gedanken sah ich vor mir die lachenden Mitarbeiter, die spät am Abend zuerst mit der Putzfrau eine Orgie feierten und dann den Schreibtisch des Chefs verunstalteten), einigten wir uns darauf, dass dieses Konzept eher suboptimal für die Zielgruppe war. Da fällt mir gerade auf: Vielleicht war früher doch nicht alles schlechter. Früher wusste man, dass der Einbrecher an einem „Wetten, dass..“-Samstag ab 20:15 Uhr in die leere Einliegerwohnung einsteigt oder am 24. Dezember zwischen 17:00 – 18:00 Uhr (Achtung! Kirchenzeiten können je nach Landkreis variieren!). So kam ich auf jeden Fall nach kurzer Diskussion recht günstig an eine WLAN-Kamera. Die Vernunft hätte mir damals nämlich noch verboten, eine solche selbst zu kaufen, weil ich a) überhaupt keine Notwendigkeit gesehen und b) auch keinerlei Verwendungszweck hätte.
Im Nachhinein hätte ich die LinkSys direkt wieder zu Geld machen sollen, aber ich redete mir ein, mir würde schon noch eine sinnvolle Verwendung einfallen oder ein Nachbarschaftsstreit ausbrechen, der ein Überwachen der Geranien nötig mache. Die Geranien sind schon lange tot (Anmerkung, was ich gerade bemerkt habe: WordPress hat einen Wortzähler eingebaut und der stand beim Wort ‚tot‘ auf 666 – krass, ne? Kann das mal bitte einer nachzählen? Ich versuche auch, beim Durchlesen am Schluß kein Wort mehr zu löschen oder hinzuzufügen.). Noch mal. Die Geranien sind schon lange tot, als ich einen Verwendungszweck gefunden habe (das war nämlich HEUTE): Ich richte sie auf den Horizont und stelle den Stream ins Netz! Was für eine Idee! Damit hab‘ ich eine Möglichkeit, endlich den vielen Menschen zu helfen, die zu mir kommen und klagen, sie hätten gerne so einen riesen Horizont, wie ich.
Kann ja nicht so schwierig sein: bei dyndns.org angemeldet, meiner Fritz!Box gesagt, dass ich jetzt einen Account dort habe und sie Anfragen auf die Adresse bitte mittels Portfreigabe an Port 8088 (den hab‘ mir abgeschaut – ich denke, nein, ich bin sicher, da geht auch was anderes) der Kamera-IP weiterleiten soll. Und tatsächlich komme ich recht schnell per dyndns-Adresse auf die Adminoberfläche meiner Kamera – seh‘ nur leider kein Video.. kurzes Suchen bringt die Erleuchtung: Der Videostream funktioniert nur mit dem IE, nicht mit Firefox oder Safari. Und auch dann benötigt man noch ein Plugin, um den ASF-Stream anzuschauen. Per VLC öffnet das Videobild wie gewollt, nur halt im Browser nicht. Damit man den Stream überhaupt anzeigen kann (also auch in VLC), muss man aber erst mal wissen, wie dieser aufgerufen werden muss:
http://192.168.23.23:8088/img/video.asf (die IP muss natürlich durch – na? – richtig, die eurer Kamera ersetzt werden)
Über DYNDNS sieht der Aufruf dementsprechend so aus:
http://meinedomain.dyndns.tv:8088/img/video.asf
Auch ein Firmware-Update der Kamera (auf eine Version von 2008.. woohoo!) bringt nichts – der Browser bleibt schwarz. Beziehungsweise weiß.
Das Thema hätte sich somit also eigentlich erledigt, ich könnte die Kamera endlich verkaufen und mein ruhiges, einfaches Leben weiterleben. Wenn da nicht die Stimme im Kopf wäre, die mir seit Stunden erzählt, dass ich auf jeden Fall eine neue, viel bessere Kamera kaufen müsse. Die sind gar nicht mehr so teuer, wie 2006. Sowas braucht man doch unbedingt, um.. ja, um was? Vernunft: 1, Amazon: 0 – Ha, gewonnen! Für heute…
In den Artikeln sind häufig Partnerlinks enthalten, überwiegend zu Amazon und eBay. Durch einen Klick darauf gelangt ihr zum Anbieter und wenn ihr dort etwas kauft, bekommen wir eine kleine Provision. Euch entstehen dadurch keine Nachteile, ihr helft so aber, dass die Seite weiterhin existiert und dafür danke ich euch! :) |