Das ist doch ein Mädchenfestival! – Nur EIN Tag! – Bist du nicht viel zu alt für sowas? – Und was ist denn das bitte überhaupt für ein Lineup?
So reagierte die Umwelt auf meine Entscheidung, die 58 Euro in die Hand zu nehmen, den Bus mit Kühlbox, 39-Cent-Festivalbier und Gaskocher zu laden und (zum ersten Mal überhaupt) zu Rock am See zu fahren, um das 25jährige Jubiläum mitzunehmen. Bereut habe ich das ganz bestimmt nicht, wobei der Grund vermutlich gerade die zuvor angesprochenen Tatsachen waren, dass das Mädchenfestival nur einen Tag geht und man das auch im gehobenen Alter noch hinbekommen sollte. Und wenn mir jemand in den letzten Jahren Spiel, Spaß und Spannung geboten hat, dann mit Sicherheit Die Toten Hosen – soviel zum Line-Up.
Die Kurzform des Ablaufs: zu hohe Campingpreise akzeptiert > Unwetterwarnung ignoriert > erste Nacht im viel zu heißen Bus überlebt > zu spät aufgebrochen, deshalb State Radio teilweise verpasst > sich gewundert, warum Kate Nash nicht das bekommt, was ihr gebührt > sich gewundert, was die Kooks da machen > sich gewundert, warum WIZO all die ganzen Jahre fast komplett an mir vorbei gingen > DAS Konzert schlechthin von den Toten Hosen bewundert und nicht nur All die ganzen Jahre mitgegröhlt > komplett durchnässt im Bus angekommen > zweite Nacht im viel zu kalten Bus überlebt > sich ein letztes Mal gewundert: McDonalds in Konstanz hat kein Frühstück…
Die Langversion. Warum campt man überhaupt bei einem 1-Tages-Festival? Um des Campens willen und um die 130-150 Euro, die ein Doppelzimmer in Konstanz von Samstag auf Sonntag kostet, zu umgehen. Ja klar, aber man kann doch morgens einfach hinfahren – die 200km sind doch ruckzuck überwunden? Genau, aber zurück? Sind wir mal ehrlich, die verkaufen morgens schon „Startbier“, wer soll denn da abends noch fahren können?
Dafür, dass der „Campingplatz“ ganze zwei Dixies bot und es dort keine Duschen gab, waren die 10 Euro pro Kopf plus 10 Euro für den Bus zwar immer noch gesalzen, aber wegen den 30 Euro will ich jetzt nicht meckern.
Nächstes Mal wird wild gecampt oder – so wie es viele machten – für 5 Euro auf dem Wiesenparkplatz genächtigt, der ebenfalls (wenn auch nicht ganz legal) Zugang zu den Dixies hatte. Das Nachtlager war dank neuem Billigpavillon schnell errichtet und die Umgebung inkl. Konstanzer Innenstadt konnte erkundet werden. Übrigens: Dass das Pavillon auf dem Bild etwas schepps aussieht, scheint wohl eine optische Täuschung zu sein, selbstverständlich ist das voll im Lot (bin wohl ein bisschen schräg gestanden, als ich das Foto gemacht hab). :)
Am frühen Abend war noch traumhaftes Wetter und so war es im ersten Moment ein wenig unglaubwürdig, als ein mit Schäferhund bewaffneter Securitymensch kritisch auf unsere Pavillonkonstruktion zeigte und uns darauf hinwies, dass es eine Unwetterwarnung für Konstanz und Umgebung gäbe. Ich hatte eigentlich erwartet, dass mir ein schlimmes Bußgeld, Platzverweis oder zumindest ein vorwurfsvoller Blick und ein „Des isch abbr itta so guat“ aus seinem Munde drohte, weil ich Spaxschrauben und Akkuschrauber den Heringen und der Fußsohle den Vorzug gab und die Spannseile direkt in den konstanzer Parkplatzasphalt schraubte. Aber nein, er ignorierte dies netterweise (ich meine sogar, ein anerkennendes Kopfnicken entdeckt zu haben), behielt seinen Hund an der kurzen Leine und wies noch einmal mit Nachdruck auf eine saubere Sicherung der Konstruktion hin. Viel konnte nicht getan werden, also haben wir zumindest – um das Gewissen zu beruhigen – alle Verbindungen mit Gaffa abgetaped und die dem Bus zugewandte Seite an selbigem festgebunden. Dass der Bus während zügiger Fahrt bei Seitenwind auch gerne mal eigenmächtig über drei Autobahnspuren zieht, sollte seine windtrotzende Wirkung beweisen.
Der Sturm blieb zum Glück größtenteils aus und lediglich ein paar Böen zerrten beharrlich an den Leinen, die aber keinen größeren Schaden hätten anrichten können.
Pünktlich zum Einbruch der Dunkelheit setzte andauernder Regen ein, der sich in Bus und unter Vorzelt bei Grillgut und Büchsenbier prima hätte aushalten lassen, wäre da nicht noch ein 6-Mann-Zelt völlig unbekannter Bauart für die erst spät angereisten Mitfeiernden aufzubauen gewesen. Bei neuen Zelten ist meine Meinung die gleiche, wie bei Schneeketten: Erst mal in der warmen Sonne ausprobieren (nicht, dass ich das jemals wirklich gemacht hätte, aber der Vorsatz ist schon mal gut). Nach langer, kalter, nasser Aufbauphase stand auch dieses Zelt irgendwann irgendwie relativ stabil (Kommentar von Passanten: „Guck‘ mal, genau das gleiche Zelt wie unseres und es ist genau gleich scheiße aufgebaut!“) und wir konnten uns nach kurzem Ausklang in den Bus zurückziehen, der nach der Vorstellung, in einem nassen Zelt schlafen zu müssen, noch luxuriöser als sonst schien.
Die Nacht war kurz und warm. 1. Kurz deshalb, weil unsere direkten Nachbarn eine ziemlich gute Anlage inkl. Stromgenerator dabei und dazu noch einen wirklich guten Musikgeschmack hatten. 2. Warm, weil ein Öffnen der Fenster ein noch besseres Klangbild des Generators (der etwa einen Meter neben meiner Fahrertür stand) geliefert hätte und damit die Nacht (vergl. Punkt 1) noch kürzer geworden wäre. So war ab 7.30 Uhr duschen und ein erneutes Erkunden der Umgebung angesagt, in der Hoffnung, dass sich unsere ‚Zeltkumpels‘ bis in ein paar Stunden aufraffen können würden. 11.00 Uhr war Einlass, 10.59 Uhr wollte ich am Tor stehen.
Zack – viereinhalb Stunden später – 12.00 Uhr… keiner rafft sich auf, weshalb wir entscheiden, alleine (zu zweit) loszuziehen. Die genau richtige Entscheidung, da wir nur so noch den Schluss von State Radio sehen und die Möglichkeit auf Einlass in den „ersten Bereich“ vor der Bühne bei Friska Viljor und später Kate Nash wahrnehmen können. Ich bin mir nicht mehr sicher, warum, aber ich fand sowohl State Radio und Friska Viljor sehr unterhaltsam – vielleicht lag es an der Festivalatmosphäre, vielleicht daran, dass die Currywurst gut und billig war. Vielleicht an der Gesamtsituation.
Auch Kate Nash fand ich sehr unterhaltsam, wie sie sich ihre Schminke von Song zu Song mehr über das gesamte Gesicht verteilte. Leider schien sie ein bisschen fehl am Platze und dieser Eindruck verstärkt sich, wenn man verschiedene Youtube-Kommentare zu den eingestellten Videos liest. Mir scheint, sie hat vergessen, ihre Fans mitzunehmen und die paar Hosen- und Wizo-Hörer, die dank Lena Meyer-Landrut auf sie aufmerksam wurden (und dazu zähle ich mich), konnten das Stimmungsbild nicht komplett reißen. Okay, ich hab mich jetzt auch nicht „and I’m singing uh-oh on a Friday night and I hope everything’s going to be alright“ singen hören und dabei ausflippen sehn, aber zumindest bin ich auch nicht tottraurig in der Ecke gestanden. Ganz großes Lob an den Block der „Ich-halte-ihr-während-der-Show-die-ganze-Zeit-den-Mittelfinger-entgegen“-Beauties, die wohl nicht ganz mit dem Auftritt einverstanden waren. Hättet ihr die Zeit des Mittelfinger-Hochhaltens genutzt und wärt noch mal kurz unter die Dusche gesprungen oder hättet Deo aufgelegt, wäre es für alle ein Stück angenehmer gewesen… ihr Vollidioten.
Nun ja, leider mussten wir der Dehydrierung Tribut zollen und unsere Topplätze aufgeben. Ich war dummerweise der Meinung, dass mich Skunk Anansie eh nicht interessieren und so kommt es, dass ich vom wirklich genialen Auftritt der Frontfrau Skin (Deborah Anne Dyer) nur ein wackliges Foto aus 200m Entfernung habe. Die haben so übelst gerockt, dass ich den später wieder erkämpften Platz (dann leider nur noch im zweiten Bereich) bis zum Finale nicht mehr auch nur ansatzweise verlassen wollte.
Dann war, wenn man keinen Plan hatte und deshalb nach der auf den T-Shirts aufgedruckten Bandreihenfolge ging, eigentlich WIZO angekündigt und bis dato war ich überzeugt, dass ich die nicht kenne und noch nie gehört habe… dazu gleich mehr. Der Auftritt von WIZO verschob sich nämlich nach hinten, weil sich der Gitarrist der Kooks, Hugh Harris, einen Finger gebrochen hatte. Luke Pritchard wollte nicht ganz absagen und spielte ein paar Minuten alleine auf der Bühne vor riesigem WIZO-Banner (ich hab da widersprüchliche Aussagen von 10 bis 30 Minuten gehört – ich selber kann es nicht schätzen, weil es so viel zu sehen und zu tun gab). Wieder waren die falschen Fans vorne.
Pünktlich zum WIZO-Auftritt war der Platz wieder gesichert – zu jeder Seite 5m Platz zum nächsten Pogo-Pulk (nach dem ich schon mal Stunden zuvor das iPhone unfreiwillig Richtung Bühne geworfen hatte anstatt ein Foto zu machen…), top Sicht und lauter nette Menschen.
Und jetzt kommt’s: Ich kenn‘ WIZO doch! Ist zwar wahrscheinlich mal locker 15 Jahre her, aber bei „Gute Freunde“ fiel der Groschen. Axel Kurth sprach sich gegen Stuttgart 21 aus, traf damit den Nerv des Publikums und teilte erstmal die „Front-of-Stage“ in zwei Lager: In die linke Hälfte und die rechte andere linke Hälfte! Sehr sehr witzig, weshalb ich es gar nicht versuche, per Text zu erfassen und verweise lieber auf das Video (nicht von mir, aber ein besseres hätte ich auch nicht):
Dank gebrochenem Finger der Kooks spielten WIZO ein bisschen länger – und auch die jetzt erwarteten Hosen sollten länger auftreten. Ein Glück. Gegen 21:00 Uhr war es endlich soweit und Campino betrat mit seinen Mannen die Bühne, um ein Feuerwerk zu zünden – zuerst metaphorisch, zum Schluss aber auch noch ganz real und er versprach nicht zu viel als er sagte, dass dies ein Feuerwerk werden würde, an das man sich sein Leben lang erinnert.
Die Toten Hosen spielten um die zwei Stunden und brachten zum Glück neben den neueren auch viele alte Lieder, darunter Klassiker wie „Hier kommt Alex“, „Eisgekühlter Bommerlunder“, „Mehr davon“, „Sascha – ein aufrechter Deutscher“, „Wünsch dir was“, „Alles aus Liebe“, „Paradies“, „All die ganzen Jahre“ und und und. Beim Sonisphere Festival in 2009 war ich noch begeistert, als Campino einen Fan nach oben holte und ihn „Paradies“ singen ließ. Wenig später hörte ich, dass er das wohl seit einiger Zeit immer macht und ich fand es nicht mehr so einzigartig und damit auch nicht mehr so prickelnd wie ursprünglich gedacht. Auch dieses Mal hat er eine junge Dame zu sich auf die Bühne genommen… und es war schlicht toll. Egal, wenn er das jedes Mal macht, dann ist es eben jedes Mal toll! Das Video zu „Liebeslied“ gibt’s hier: (auch nicht von mir).
Als sich am Ende der zwei Stunden während der letzten Zugabe bei „You’ll never walk alone“ genau in der Passage „…walk on through the wind, walk on through the rain“ wie auf’s Stichwort der Himmel öffnet und die tiefschwarzen Wolken sich leeren, werden die Stimmen hörbar zittriger und die Augen vieler wahrscheinlich nicht nur vom Regen feucht. Emotionaler kann ein Festivalfinale nicht sein!
Der Rückweg zu den Shuttlebussen war lang und ausgesprochen nass, aber dank exzellentem (ernst gemeint!) Deeskalationspolizist, dessen Bob-Ross-The-Joy-Of-Painting-Stimme trotz Megaphon traumhaft beruhigend blieb („Jaa, das macht ihr aber gut, wie ihr schön langsam lauft. Genau, prima, nicht drängeln, dann kommen wir alle schnell heim. Richtig, wir springen nicht vor die fahrenden Busse sondern warten, bis sich die Türen öffnen. Absolut, die Blutung ist bestimmt gleich wieder gestillt.„) war der Weg eine reine Freude. Als nach der Busfahrt zum Campground auch noch das Nachbarstromaggregat den Geist aufgab, wurde es noch eine ruhige Nacht – dieses Mal aber dank fehlender trockener Klamotten ein wenig kälter als die Nacht davor.
Die Sonne scheint am Morgen danach,
wie ein Kuss beginnt der Tag.
Der Kaffee ist gut, die Zeitung frisch,
zählt die Opfer am Frühstückstisch.
Und aus dem Radio kommt ein Liebeslied…
Was bleibt, ist die Frage, warum ich erst zum 25jährigen Jubiläum auf die Idee komme, das Festival zu besuchen. Zum 26sten bin ich ziemlich sicher wieder dabei.
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